Lerntypen: warum sie ein Mythos und unwissenschaftlich sind

Bei Lerntypen werden Personen danach kategorisiert, mit welchen Sinnen sie am besten lernen.

Wer sich z. B. gerne etwas anhört, um Neues zu lernen, wird als sogenannter auditiver Lerntyp kategorisiert.

Wer sich hingegen lieber etwas anschaut, gilt als visueller Lerntyp.

Allerdings handelt es sich bei Lerntypen aus den folgenden vier Gründen um einen Mythos:

  1. Die Aufnahme von Informationen über verschiedene Sinne bedeutet nicht automatisch, dass man lernt.
  2. Es gibt keine wissenschaftlichen Beweise für Lerntypen.
  3. Der Lerngegenstand sowie das Vorwissen und die Motivation der Lernenden bleiben unberücksichtigt.
  4. Lernenden und Lehrkräften entstehen durch Lerntypen Nachteile.

Du solltest Lerntypen deshalb kritisch hinterfragen, auch wenn sie populär sind und häufig in Bildungseinrichtungen angewendet werden.

Sie dienen höchstens dazu, neue Lernmethoden kennenzulernen, die du bislang noch nicht ausprobiert hast.

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Weshalb Lerntypen kritisiert werden

Lerntypen werden unter anderem aus den folgenden vier Gründen kritisiert:

  1. Informationsaufnahme ist nicht dasselbe wie Lernen
  2. Fehlende wissenschaftliche Beweise
  3. Keine Berücksichtigung von Lerngegenstand, Vorwissen und Motivation
  4. Nachteile für Lernende und Lehrkräfte

1. Informationsaufnahme ist nicht dasselbe wie Lernen

Ein Kritikpunkt an Lerntypen ist, dass Lernen mit der Aufnahme von Informationen über unsere verschiedenen Wahrnehmungssinne gleichgesetzt wird.

Wenn du dir aber z. B. etwas mit deinen Augen bzw. visuell einprägst, bedeutet das noch nicht, dass du es auch verstanden und wirklich gelernt hast.

Denn hierfür müssen die mit deinem Sehsinn aufgenommenen Informationen zunächst in deinem Gehirn verarbeitet werden, damit sie in dein Langzeitgedächtnis übergehen können.

Erst wenn diese neuen Informationen durchdacht, interpretiert und mit bereits vorhandenem Wissen verknüpft worden sind, kann man von Lernen sprechen.

Hierbei sind die kognitiven Eigenschaften einer Person entscheidend, z. B. ihr logisches Denkvermögen, ihre Auffassungsgabe und mit welcher Geschwindigkeit sie Informationen verarbeiten kann.

Es ist also unwichtig, über welchen Wahrnehmungssinn du Informationen aufnimmst. Erst wenn sie verarbeitet werden, haben sie Bedeutung und können erlernt werden.

2. Fehlende wissenschaftliche Beweise

In der Kognitionswissenschaft (= Disziplin zur Erforschung der Informationsverarbeitung) gibt es keine wissenschaftlichen Beweise für Lerntypen.

Denn in mehreren Studien, in denen Lerntypen nachgewiesen werden sollten, wurden die verwendeten Methoden nicht korrekt durchgeführt.

Die Ergebnisse weisen also keine Validität (= Eignung der Messung für die Zielerreichung) und Reliabilität (= Zuverlässigkeit der Messung) auf.

Beispiel: Studie mit mangelhafter Methode
Fleming und Mills (1992) entwickelten im Rahmen ihrer Studie das sogenannte Visual, Auditory, Reading/Writing and Kinesthetic (VARK) Model, das auch heute noch häufig genutzt wird.

Bei diesem werden Lernende nach ihrer Lernpräferenz in die folgenden vier Kategorien eingeteilt:

  1. Visuelles Lernen
  2. Auditives Lernen
  3. Lernen durch Lesen und Schreiben
  4. Kinästhetisches Lernen (basiert auf Bewegungsempfindungen)

Das Modell umfasst einen Fragebogen, den Lernende ausfüllen können.

Allerdings mangelt es dem Modell an Validität, da die Fragen des Fragebogens mehr als nur eine Antwort pro Frage erlauben.

Dadurch lässt sich anhand der Antworten nicht klar bestimmen, in welchen Lerntyp eine Person eingeteilt werden soll.

Außerdem konnten Lerntypen in methodisch richtig durchgeführten Studien widerlegt werden, wie dir das folgende Beispiel zeigt.

Beispiel: Studie mit angemessener Methode
In der Untersuchung von Rogowsky et al. (2015) wurden die Teilnehmenden zunächst mithilfe eines Fragebogens entweder dem visuellen oder dem auditiven Lerntyp zugeordnet. Sie machten dann sowohl mündlich als auch schriftlich einen Test.

In einem weiteren Schritt wurden die Teilnehmenden zufällig in zwei Gruppen unterteilt. Eine Gruppe bekam Informationen zum Hören und die andere Gruppe dieselben Informationen zum Lesen.

Beide Gruppen machten dann einen Test direkt im Anschluss und einen weiteren nach zwei Wochen.

Bei den Testauswertungen wa kein Zusammenhang zwischen den Lerntypen und einer Leistungsverbesserung zu erkennen.

Nach dem Konzept der Lerntypen müsste aber z. B. der auditive Lerntyp seine Leistung verbessern, wenn er neues Wissen nur über den Hörsinn aufnimmt und seine Lernumgebung darauf abgestimmt ist.

3. Keine Berücksichtigung von Lerngegenstand, Vorwissen und Motivation

Beim Konzept der Lerntypen bleiben der Lerngegenstand sowie das Vorwissen und die Motivation einer Person unberücksichtigt.

Denn all diese Faktoren spielen eine Rolle dabei, für welche Lernmethode sich eine Person entscheidet.

Wer sich z. B. mit mathematischen Formeln auseinandersetzen muss, aber kein Vorwissen hat, ist vielleicht weniger motiviert, sich mit ihnen zu beschäftigen.

Die Person bevorzugt es deshalb eventuell, sich die Formeln so einfach wie möglich von jemandem erklären zu lassen, der sich gut mit ihnen auskennt. Die Informationen werden dann über den Hörsinn aufgenommen.

Diese Option kann motivierender und unterhaltsamer sein, als sich alleine mit den Formeln auseinanderzusetzen.

Hingegen genügt es derselben Person, einen Text über die 4 Fälle im Deutschen zu lesen, weil sie schon entsprechendes Vorwissen mitbringt und motiviert ist, mehr zu lernen.

Sie nimmt die Informationen dann mit dem Sehsinn auf und benötigt nicht die Hilfestellung einer anderen Person.

In anderen Situationen hat sie aber womöglich gar keine Lust und Motivation, einen Text zu lesen – unabhängig davon, um welches Thema es sich handelt.

Das heißt, dass sich Menschen je nach Thema, Vorwissen und Motivation oft für eine unterschiedliche Informationsaufnahme entscheiden.

Ihre Wahl sagt aber nichts darüber aus, mit welchem Wahrnehmungssinn sie am besten lernen. Es handelt sich vielmehr um individuelle Präferenzen.

Aus diesem Grund lassen sich Menschen nicht einfach in Lerntypen einteilen, die für sie angeblich immer ideal funktionieren.

4. Nachteile für Lernende und Lehrkräfte

Wenn Lernende glauben, dass sie einem bestimmten Lerntyp angehören, werden sie womöglich in ihrem Lernfortschritt behindert.

Denn sie sind dann eventuell nicht mehr für andere Lernmethoden offen.

Außerdem kann das Festhalten an Lerntypen zu Frust führen, wenn Lernende trotz ihres vermeintlichen Lerntyps keine höhere Leistung erzielen, z. B. bessere Noten in Prüfungen.

Ein Nachteil ergibt sich auch für Lehrkräfte, die ihre Lehrmaterialien an jeden Lerntyp anpassen müssen.

Wenn also z. B. eine Mathelehrerin eine mathematische Formel erklären möchte, muss die Erklärung unter anderem auf den Seh-, den Hör- und den Tastsinn ausgerichtet sein.

Dadurch entstehen zusätzliche Arbeit und ein hoher Zeitaufwand.

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Die 4 Lerntypen nach Vester

Besonders bekannt sind die 4 Lerntypen nach Vester:

  1. Visueller Lerntyp
  2. Auditiver Lerntyp
  3. Haptischer oder motorischer Lerntyp
  4. Kommunikativer oder intellektueller Lerntyp

Sie sind so populär, da sie auf den ersten Blick einleuchtend wirken und eine klare Lösung für effektives Lernen zu bieten scheinen.

1. Visueller Lerntyp

Laut Vester lernt der visuelle Lerntyp besonders gut mit den Augen. Sehen ist also der ausschlaggebende Wahrnehmungssinn.

Der visuelle Lerntyp benutzt daher gerne visuelles Material wie Abbildungen, Diagramme, Grafiken, Mindmaps, Skizzen und wissenschaftliche Poster.

Typisch sind auch Notizen und Textmarker, um relevante Infos in Texten zu kennzeichnen.

2. Auditiver Lerntyp

Den auditiven Lerntyp sieht Vester als eine Person, die vor allem von ihrem Hörsinn Gebrauch macht.

Für sie sind deshalb insbesondere Hörbücher, Podcasts, Referate und Vorlesungen hilfreich.

Auch das laute Vorlesen des Lernstoffs oder das Abspielen eigener Sprachnotizen ist eine häufige Methode des auditiven Lerntyps.

3. Haptischer oder motorischer Lerntyp

Beim haptischen oder motorischen Lerntyp ist gemäß Vester der Tastsinn entscheidend. Denn es wird am besten gelernt, wenn Dinge selbst ausprobiert und angefasst werden.

Es bieten sich daher Experimente, Modelle zum Nachbauen und Rollenspiele an.

Der haptische oder motorische Lerntyp wird häufig mit der Loci-Methode in Zusammenhang gebracht.

Bei dieser wird der Lernstoff z. B. im eigenen Zuhause oder an einem anderen vertrauten Ort mit Gegenständen verknüpft, um sich ihn besser einprägen zu können.

Wenn diese Gegenstände dann abgelaufen werden, lässt sich der Lernstoff erneut abrufen.

Beispiel: Loci-Methode
Bei der Loci-Methode suchst du dir zunächst einen vertrauten Ort aus, z. B. deine Küche. Den Gegenständen in deiner Küche teilst du dann jeweils Informationen zu – je nachdem, was du lernen möchtest.

Wenn du dir z. B. alle europäischen Länder merken willst, kannst du dir etwa Italien mithilfe der Pasta in deinem Küchenschrank merken.

Die Mikrowelle kannst du dir voller Gyros vorstellen, um an Griechenland zu denken.

Dein Esstisch kann wiederum der Ort sein, an dem Champagner getrunken wird, um Frankreich nicht zu vergessen.

4. Kommunikativer oder intellektueller Lerntyp

Der kommunikative oder intellektuelle Lerntyp zeichnet sich nach Vester durch seine kritische Auseinandersetzung mit Lerninhalten aus.

Er lernt am besten, wenn er sich mit anderen Personen über ein Thema austauscht, dieses hinterfragt oder zu diesem aktiv Fragen stellt.

Deshalb werden z. B. Gruppendiskussionen, Lerngruppen und Quiz als geeignete Methoden für diesen Lerntyp angeführt.

Beachte
Der kommunikative oder intellektuelle Lerntyp ist widersprüchlich. Denn er ist im Gegensatz zu den anderen Lerntypen keinem Wahrnehmungssinn zugeordnet.

Er wird lediglich mit der kognitiven Leistung bzw. dem Verstehensprozess einer Person in Zusammenhang gebracht.

Jedoch ist kognitive Leistung bzw. Verständnis immer notwendig, um sich neues Wissen anzueignen – unabhängig davon, ob du es mit den Augen, den Ohren oder den Händen aufnimmst.

Das heißt, dass letztendlich alle Lerntypen auf dieser Voraussetzung basieren.

Lerntypentest

Weil Lerntypen so weitverbreitet sind, findest du im Internet zahlreiche Lerntypentests.

Wenn du dich dazu entscheidest, einen solchen Lerntypentest zu machen, solltest du allerdings beachten, dass die Ergebnisse nicht wissenschaftlich gestützt sind.

Denn es handelt sich bei ihnen um keine standardisierten Messverfahren, wie sie z. B. für Intelligenztests zur Anwendung kommen.

Ein derartiger Test kann höchstens dazu dienen, herauszufinden, welche Lernmethoden du bevorzugst und welche anderen du vielleicht gerne ausprobieren möchtest.

Wie du tatsächlich effektiv lernen kannst

Die Kritik an Lerntypen geht mit der Frage einher, wie du tatsächlich effektiv lernen kannst.

Sinnvoll ist es, wenn du dir hierfür die folgenden Fragen stellst, um deine ideale Lernumgebung zu schaffen:

  • Lernst du lieber an einem ruhigen Ort, z. B. in der Bibliothek, oder ist ein öffentlicher Ort wie ein Café auch eine Option?
  • Lernst du gerne alleine oder mit anderen Personen zusammen?
  • Was ist der Lerngegenstand bzw. mit welchem Thema beschäftigst du dich? Hat das Thema eine Auswirkung darauf, wo und mit wem du lernen möchtest?
  • Wie viel Zeit steht dir zur Verfügung? Musst du dich auf eine Prüfung vorbereiten? Wenn du eine Deadline hast: Schaffst du das Thema alleine oder benötigst du Hilfestellung von anderen?
  • Wie motiviert bist du, zu lernen? Interessiert dich das Thema, sodass du dich gerne alleine damit beschäftigst, oder kannst du deine Motivation vielleicht steigern, indem du mit anderen lernst?

Auch ist es hilfreich, wenn du beim Lernen für Abwechslung sorgst und dich nicht nur auf einen Wahrnehmungssinn verlässt.

Wenn du etwa feststellst, dass du ein neues Thema nicht gut verstehst, weil du vielleicht einen komplizierten Text liest, kannst du z. B. nach einer leicht verständlichen Erklärung auf YouTube suchen.

Wichtig ist auch ein effektives Selbstmanagement. Du kannst dir einen Lernplan erstellen, um festzuhalten, bis wann was gemacht werden soll.

Achte außerdem darauf, beim Lernen immer genug Pausen einzulegen, um Stress zu vermeiden. Entspannungsübungen zwischendurch können ebenfalls hilfreich sein.

Häufig gestellte Fragen

Welche Lerntypen gibt es?

Am bekanntesten sind die 4 Lerntypen nach Vester:

  1. Visueller Lerntyp
  2. Auditiver Lerntyp
  3. Haptischer oder motorischer Lerntyp
  4. Kommunikativer oder intellektueller Lerntyp

In der Literatur finden sich aber weitere Einteilungen von Lerntypen.

Warum sind Lerntypen ein Mythos?

Lerntypen sind aus den folgenden Gründen ein Mythos:

  1. Die Aufnahme von Informationen über verschiedene Sinne bedeutet nicht automatisch, dass man lernt.
  2. Es gibt keine wissenschaftlichen Beweise für Lerntypen.
  3. Der Lerngegenstand sowie das Vorwissen und die Motivation der Lernenden bleiben unberücksichtigt.
  4. Lernenden und Lehrkräften entstehen durch Lerntypen Nachteile.
Wie kann ich ohne Lerntypen effektiv lernen?

Du kannst ohne Lerntypen effektiv lernen, indem du die nachstehenden Punkte berücksichtigst:

  • Lernumgebung (der Ort, das Lernen mit anderen Personen usw.)
  • Lerngegenstand
  • Lernpräferenzen
  • Verfügbare Zeit
  • Motivation

Zusätzlich ist es hilfreich, wenn du beim Lernen für Abwechslung sorgst, auf ein effektives Selbstmanagement achtest, einen Lernplan erstellst und ausreichend Pausen machst.

Quellen für diesen Artikel

Wir empfehlen Studierenden nachdrücklich, Quellen in ihrer Arbeit zu verwenden. Du kannst unseren Artikel zitieren oder dir mit den Artikeln weiter unten einen tieferen Einblick verschaffen.

Diesen Scribbr-Artikel zitieren

Özçelik, Y. (2024, 12. September). Lerntypen: warum sie ein Mythos und unwissenschaftlich sind. Scribbr. Abgerufen am 16. Dezember 2024, von https://www.scribbr.de/studium/lerntypen/

Quelle

Husmann, P. R., & Dean O’Loughlin, V. (2019). Another Nail in the Coffin for Learning Styles? Disparities among Undergraduate Anatomy Students’ Study Strategies, Class Performance, and Reported VARK Learning Styles.
Anatomical Sciences Education, 12(1), 6–19. https://doi-org.proxy.library.dmu.ac.uk/10.1002/ase.1777

Looß, M. (2001). Lerntypen? Ein pädagogisches Konstrukt auf dem Prüfstand. Die Deutsche Schule, 93(2), 186–198. https://leopard.tu-braunschweig.de/servlets/MCRFileNodeServlet/dbbs_derivate_00044748/Lerntypentheorie_Loo%C3%9F.pdf

Pashler, H., McDaniel, M., Rohrer, D., & Bjork, R. (2008). Learning Styles: Concepts and Evidence. Psychological Science in the Public Interest, 9(3), 103–119. https://www.psychologicalscience.org/journals/pspi/PSPI_9_3.pdf

Rogowsky, B. A., Calhoun, B. M., & Tallal, P. (2015). Matching Learning Style to Instructional Method: Effects on Comprehension. Journal of Educational Psychology, 7(1), 64–78. https://www.apa.org/pubs/journals/features/edu-a0037478.pdf

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Yasemin Özçelik

Yasemin hat Spanische Romanistik, Interkulturelle Wirtschaftskommunikation und Education Practice studiert. Sie ist nicht nur als Content-Writerin, sondern auch als Lektorin und Onlinelehrerin tätig.